Purple
David Helbock - Purple David Helbock gilt nicht erst seit heute als Enfant Terrible des jungen europäischen Jazz. Selbst wer noch keinen einzigen Ton des Vorarlberger Tastenwizards gehört hat, verbindet seine äußere Erscheinung womöglich mit jenem zauselig hageren Bartgesicht unter der charakteristischen Wollmütze im Pianotastendesign, das man nicht so schnell vergisst. Helbock hat das Zeug zur Ikone. Doch unter seiner markanten Kopfbedeckung vereinen sich die unterschiedlichsten musikalischen Ideen von Genial bis Naheliegend, die eben nur in seinem Kopf so zusammengehen können und für jeden Außenstehenden die gegensätzlichsten Positionen besetzen. Helbock liebt das Moment der Überraschung. Er sucht nach Klangkonstellationen fernab des Offensichtlichen. Im David Helbock Trio hat er nicht etwa einen herkömmlichen Bassisten rekrutiert, sondern einen Spieler der Bass-Ukulele, in seiner Gruppe Random/Control findet er ungewöhnliche Verabredungen mit einem Blechbläser und einem Holzbläser, in seinem Projekt mit dem Geiger Simon Frick entfesselt er eine ganze Band im Duo-Format. Er ist zugleich Romantiker und Anarchist, in dessen musikalischem Denken ganz unterschiedliche Zustände von Realität und Virtualität, Vergangenheit und Zukunft, urbanem Wahnsinn und pastoraler Geborgenheit zusammenfließen. Helbock ist ein Phänomen, das nie nur an einem Ort und in einer Zeit passiert, sondern stets die Einheit in der Vielheit manifestiert. Und nun „Purple“. Ein Solo-Album auf dem Klavier. Für den Pianisten selbst ein logischer Schritt, denn er kehrt zu seinen Wurzeln zurück. Immerhin war schon sein allererstes Album „Emotions“ aus dem Jahr 2003 ein solistisches Piano-Werk. Doch ganz so einfach ist das nicht. Einerseits kehrt Helbock sogar in doppelter Hinsicht zu seinen Wurzeln zurück, denn er spielt die Stücke eines Idols seiner Jugend. „Purple“ enthält ausschließlich Stücke von Prince. Auch Prince hatte ja mal als Pianist angefangen und ist vom Soloklavier in alle nur denkbaren Richtungen ausgeschwärmt. Diese rein oberflächliche und zufällige Beziehung dürfte indes kaum ausreichend sein, um Helbock zu veranlassen, ein ganzes Album mit Prince-Songs zu produzieren. Der umtriebige Pianist wollte nicht einmal aus seiner eigenen Welt heraustreten, denn in seinem Universum hat Prince ja von je her eine gewichtige Rolle gespielt. Aber wer erwartet dergleichen schon von einem jungen Wilden des europäischen Jazz, der erfrischend unbefangen zwischen ausgekochter Avantgarde und naiv anmutender Hardcore-Folklore hin und her schwingt und dabei mitnimmt, was immer er greifen kann. Und damit sind wir beim Andererseits. David Helbock bricht auf „Purple“ geschickt alle an ihn gerichteten Erwartungsmaßstäbe. Typisch Helbock, bleibt er ganz er selbst und ist doch schon wieder ganz woanders. „Purple“ ist keiner jener hilflosen Versuche, Pop in Jazz zu übersetzen, um so neue Aufmerksamkeit zu generieren. Das hat der inzwischen in Wien lebende Musiker wirklich keine Sekunde nötig. Es widerstrebt ihm, bekannte Popsongs eimerweise mit Sophistication zu übergießen, um ihnen die hohen Weihen des Jazz angedeihen zu lassen. David Helbock unternimmt das genaue Gegenteil. Er braucht gar keine Übersetzungen, sondern entfernt aus den opulenten Prince-Vorlagen alles Überflüssige und Redundante, reduziert sie auf ihre Substanz und reicht uns die minimalistischsten und zurückhaltendsten Kommentare, die jemals zum androgynen Magier vom Paisley Park abgegeben wurden, um sie an ausgewählten Stellen mit Feuer und Inbrunst zu konterkarieren. Damit diese Rechnung aufgeht, wählte er vor allem die Hits von Prince aus, Stücke, die längst zu Allgemeingut geworden sind. Wer würde nicht Klassiker wie „Kiss“ oder „Purple Rain“ kennen? Es ging ihm nicht darum, exklusives Insiderwissen zu demonstrieren, sondern den Hörer mittels gemeinsamer Erinnerung zur Teilhabe einzuladen. Helbock trägt die Stücke in eine völlig andere Klangwelt, entschleunigt sie und durchzieht sie mit jenem feinen Humor, den er auch in den Originalen erkennt. Diese Prince-Variationen haben in der Tat etwas Royales, Großes, gerade weil sie dem Hörer so viel Raum geben, sich mit der Kraft seiner eigenen Imagination auszubreiten. Und wer Prince nicht kennt – falls es so etwas überhaupt gibt – der kann Helbocks Stücke immerhin als das nehmen, was sie letztlich sind. Extrem individuelle Fantasien auf dem Soloklavier. Wer hätte je gedacht, das die Hits von Prince auch in einem Gewandt von verschmitztem K&K-Charme funktionieren? Wer will, darf das Jazz nennen.