Think of Two

Think of Two

Mit dem Wir auf Du und Du Ist doch ganz einfach: Man nehme drei Musiker und drei Dutzend Instrumente, ein paar Lieblingsstücke, gehe ins Studio und spiele drauf los. Die Aufstellungsordnung des musikalischen Erlebnisparks von Random/ Control dürfte dabei das Komplizierteste der Zweitage-Session im Berliner Traumton-Studio gewesen sein. Beim „sportlichen Instrumentenwechseln“ sei es zu einigen „Unfällen“ gekommen, berichtet David Helbock. Davon ist auf seiner neuen CD allerdings nichts zu hören – ganz im Gegenteil! Erscheint Think of Two doch von einer spielerischen Leichtigkeit, die locker über alle Kulturen, Distanzen und Stile hinwegfegt. Ich werfe den verdammten Rückspiegel aus dem verdammten Fenster, weil ich nicht wissen will, woher ich komme, sondern wohin ich fahre (F.L.Wright) Ursprünglich sollte das neue Œuvre „Two Wise Men with a Long Beard“ heißen. Aber Helbocks Mudjaheddin-Bart ist inzwischen ab; aus Vorarlberg stammend, über Wien gekommen, ist der 30-jährige Pianist nun frischer Berliner, jung, vielfach Preis dekoriert und erfolgreich genug, um ein erstes, kleines Resümee zu ziehen. Und das hat er anhand zweier seiner wichtigsten Einflüsse, Thelonious Monk und Hermeto Pascoal, getan. Schon seit längerem versuchte Helbock mit letzterem in Kontakt zu kommen. Nachdem er den brasilianischen Multiinstrumentalisten bei einem Konzert in Wien schließlich kennengelernt und ihm eine seiner CDs nebst sein von Hermeto inspiriertes „Personal Realbook“ (2009 ein Jahr lang jeden Tag ein neues Stück geschrieben) geschenkt habe, sei aus Brasilien irgendwann Nachricht gekommen, dass Pascoal für ihn ein Stück aufnehmen wolle – „einfach so und umsonst“, wie der erstaunte Helbock berichtet. „Palhinha do Hermeto e da Aline“ ist der neunte Titel auf dem Album, vier Flöten-, zwei Klavier-, vier Gesangsspuren. Und die akustische Wirrniss passt prächtig in das Gesamtgeflecht. Der exzentrische Hermeto Pascoal ist seinerseits ein erklärter Fan des exzentrischen Jazzpianisten Thelonious Monk, und so sitzen auf Think of Two nun also drei Brüder im Geiste einträchtig zusammen auf dem Klavierschemel. Das Resultat ist große Gaudi, ein Hoch- und Runtersausen durch die Klaviatur der Möglichkeiten, bei der man sich gut vorstellen kann, wie Komponistengeister und Realmusiker einander animierten und sich gegenseitig erstaunten. Sieh es als Chance, die Geschichte ein bisschen anders zu erzählen (Fred Hersch) Die drei haben dabei den Mut sich ins Klischee zu stürzen ohne im Seichten zu landen. Helbock wäre freilich nicht Helbock, wenn er seinen Lieblingstiteln nicht auch unter die Haut kröche, sie nicht wahrhaftig „interpretieren“ würde. So wird Monks „Pannonica“ über die Jazzmäzenin de Koenigswater so verrückt wie es die Jazzbaroness auch war, für das nach einem Kinderspiel benannte „Trinkle Tinkle“ nimmt Helbock konsequenterweise ein Spielzeugklavier her. Der Klassiker „’Round Midnight“ gerät zum melancholischen Spaziergang über’s regenschwere Pariser Pflaster. „Tupizando“, ein den brasilianischen Tupi-Ureinwohnern gewidmeter Hermeto-Titel, geht das Vorarlberg-Trio erst mal mit Bierflaschen an, und siehe da, der Urwald erwacht mit Vogelgezwitscher und Gekreisch zum Leben. Dass Pascoals „Nas quebradas“ mit einem Alphornsolo unterlegt wird, fällt da schon gar nicht mehr auf, ebenso wenig, dass das Brasil-Stück eine erstaunliche Vorarlberger Verwandschaft aufweist; verwunderlich höchstens, wie Bär und Broger die abrupten Wechsel vom großen zum kleinen Mundstück hinbekommen und Helbock nicht danebenlangt bei der Vielzahl seiner Sounds und Instrumente. Verwirrt wird höchstens der Zuhörer, mit welchem Instrument welcher Musiker plötzlich und unvermutet einen neuen, überraschenden Akzent setzt. Think of Two ist großes Musikantentum, aber Virtuosität fliegt hier nicht auf Autopilot. Um Organik wird da nicht gerungen, sie kommt von innen heraus geklungen (vgl. die New-Orleans-Second-Line in „Raise Four“). Ich bereite mich darauf vor, nicht vorbereitet zu sein (Lee Konitz) Zufall und Kontrolle, das sind zwei Determinanten, die sich gegenseitig eigentlich ausschließen. „Das Ganze ist mit Random/Control aber auch eine kleine Herausforderung geworden - es kamen und kommen immer mehr Instrumente dazu“, sagt Helbock zum Entstehungsprozess. Hertz- und Herztöne eröffnen auf „Voa, Ilza“ mit einem Feuerwerk den regen Reigen. Jeder pfeffert irgendwo irgendwas rein – und alles passt! Ideen (und vermutlich auch Instrumente) hätten sie noch mehr gehabt, leider aber passten nicht mehr als 80 Minuten auf eine CD. Dass diese in nurmehr zwei Tagen randvoll gefüllt wurde, spricht für das blinde Verständnis des Trios – gespeist durch gemeinsame Herkunft (Vorarlberg), gemeinsame Schulzeit (Helbock/ Bär) und lange musikalische Zusammenarbeit (Helbock/ Bär/ Broger). Seine meta-technische Transkulturation zelebriert „Helbocks B&B“ so locker, als ob Vorarlberg schon immer die Weltkultur beherbergt hätte. Es brauchte nur noch einen, der sie da herausführt. David Helbock, dessen Nachname sich zusammensetzt aus Hel, der Unterweltsherrscherin in der nordischen Mythologie, und Bock, althergebrachtes Synonym für Teufel und Potenz, ist in der Tat ein Verführer in die Schichten unter seine Musiktitel, ein Prellbock stilistischer Eindimensionalität und damit, ob Wohnsitz Wien oder Berlin, endgültig auf der Weltbühne angekommen.

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