Angular
Wer die Musik von Mathias Schaffhäuser kennt, weiß, dass der Kölner gerne hin und wieder den kreativen Winkel neu justiert. Das letzte, poppige, aber auch partiell hart knarzende Album seines Projekts Fanatico war ein Gemeinschaftswerk mit dem New Yorker Sänger und Schriftsteller Jorge Socarrás und markierte seinen Freimut zu neuen musikalischen Abenteuern erst im letzten Frühjahr eindeutig. Und jetzt kommt „Angular“ – ein mit zehn spontan entstandenen Tracks bestücktes Album voller dronig verdrehter Ideen, das sich mit nichts, was derzeit in den Plattenläden über die Theke geht, wirklich vergleichen lässt. Diesmal ist die Bassdrum wieder König und der Club ganz klar im Visier – selbst wenn Schaffhäuser hier alles ohne einen konkreten Verwendungsrahmen und ohne Konzept vor Augen produziert hat. Stattdessen lies er Zufall und ein bißchen Wahnsinn Regie führen, setzte nur auf vom Bauch gefühlte Grooves und justierte seine Geräte im Umgang mit Rhythmus und Atmosphäre auf eine äußerst unkonventionelle Art. Das wird gleich zu Beginn des Albums mit „The Best Bad Idea“ deutlich – einem minimal pushenden Track, in dem stehende Synthesizer-Flächen mit einem Schuss Irrsinn magisch ineinander morphen. Ein lässiges, einem TV-Thriller entnommenes Sprachsample sorgt zusätzlich für Verwirrung, die in knisternder Clubatmosphäre für manchen Aha-Moment sorgen wird. Mit dem Stück „Border To Bastian“ führt er den gespenstischen Groove- und Sound-Aberwitz fort und zeigt, dass man auch allein mit Ableton-Live-Soft-Synths eine verspult-anspruchsvolle Variante von Dark-Techno entwickeln kann. „Snake Tongue In Aspic“, ein Track, dessen Titel auf das King Crimson Album „Larks Tongues In Aspic“ anspielt, boykottiert schließlich absolut radikal jegliche Erwartungshaltungen. Ein stehender, an Dubstep geschulter Bass, lässige Claps und eine zurückhaltende Basstrommel vermitteln das Gefühl, der Track würde in Zeitlupe auf einen explodierenden Höhepunkt hinrollen. Die Explosion bleibt aber aus, stattdessen eskaliert der Breakdown in einer Schwermuts-Hall-Orgie. Drei Tracks, die Clubmusik von ihrer rein funktionalen Wirkung lösen und sie in eine spukhafte, von Genres befreite Bass-, Synth- und Rhythmusarchitektur verwandeln. Den mysteriösen Charme seiner musikalischen Formsprache ohne feste Form führt er in dem bereits im Vorfeld als 12inch erschienen Track „Hammill“, dessen „froggy“ Rhythmus an UK-Garage erinnert, fort. Anschließend verzichtet er mit dem Albumtitelstück „Angular“ erst einmal im weitesten Sinne auf Beats. Stattdessen schwingen sich oszillierende Synthiesounds gegenseitig zu einem Ambient-Noise-Abenteuer hoch, das so bedrohlich klaustrophobisch wirkt wie die expressionistischen Bilder in Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilmklassiker „Nosferatu“. Dem Noise bleibt Schaffhäuser dann auch auf „Brummer“, dem zweiten bereist vorab veröffentlichten Track, treu. Diesmal geht die Sogkraft von einer schrillen Synthline aus, die um einen verzwickten Groove herum weht. Auch im räumlich offenen Ambiente der drei nächsten Tracks knirschen die Synthesizer expressionistisch, verzerrt und irre. Die Disco bleibt dabei nicht auf der Strecke, wird allerdings gelegentlich durch fordernde Noise-Attacken leicht erschreckt. „Bond Boy“ hat tatsächlich mit dem ewigen Agenten ihrer ewigen Majestät zu tun und könnte als Angebot an die Film-Produzenten für eine Auffrischung des (ewigen!) Soundtracks verstanden werden. „Schnuppe“ führt diesen subtilen Schaffhäuser'schen Humor weiter mit einem fundementalen Kommentar zur Welt an-sich, getragen von einer Walking-Bassline und bratzigen Dubstep-Toms. „Rockette Morton“ schließlich dockt am ersten Drittel des Album an mit seinen dronigen Flächen, die sich hier aber auch unverblümt zu ihrer Verwandtschaft zur Rave-Fanfare bekennen. Am Ende markiert dann „Freeverse“ mit seinem rückwärts laufenden Stimmsample und seinen verspulten Phasersounds einen experimentell-spukhaften Schluss, den Suicide nicht hätten besser produzieren können. Ein extrem frisches Album voll durchgedrehter Suspense, das sich allerdings nicht wirklich vom Gesamtwerk Schaffhäusers abhebt. Denn es hat trotz allem Melodie und schätzt das minimal funktionale Abenteuer von Clubmusik. Atmosphärisch ist deutlich zu spüren, dass der Kölner Dark-Techno und UK-Bass, Künstler wie den Stroboscopic Artefacts Chef Lucy und Labels wie CLR oder Fifth Wall Records zu schätzen weiß. Kopiert wird aber nicht. Vielmehr lies Mathias einfach nur seinen Geist frei auf die Instrumente wirken und jagte alles, was ihn innerlich bewegte, raus in den elektronischen Maschinenraum. Dabei entstand eine energetische Hommage an Absicht und Zufall. Immer in unbewussten Gedanken an seine alten Helden King Crimson und Robert Fripp - natürlich nicht im Sinne eines direkten musikalischen Zitats, vielmehr als Wegweiser für freigeistige Musik, die Dinge gegen den Strich bürstet, von denen mancher dachte, sie seien nicht (mehr) möglich. P.S.: Für all diejenigen, die Mathias noch nicht kennen, sei kurz erwähnt: Aktuell erscheint seine Musik u.a. auch auf TIC TAC TOE Records, Adjunct Records und Lebensfreude. Er ist der Mann hinter dem Label Ware, veröffentlichte schon vor Dekaden Musik auf Definitive / Plus 8, Kompakt und Force Inc. und landete 2001 mit der Minimal-Reinterpretation des Icehouse-Popklassikers „Hey Little Girl“ einen Hit. Ansonsten komponierte er aber seit eh und je zu 70% instrumental-funktionale Tracks mit eigener Handschrift, die einige als Tech-House bezeichnen, andere als Minimal. Ihm selbst ist das schnuppe, Jacke wie Hose, oder einfach: Techno!